Mahnung für uns alle
Nach dem Niedergang des Clausthaler Bergbaus entstand am östlichen Stadtrand von Clausthal unter dem Tarnnamen „Werk Tanne“ eine riesige Sprengstoff-Fabrik. Bereits ab März 1939 produzierte sie TNT und trug damit wesentlich zur Kriegspolitik der Nationalsozialisten bei.
Im Verlauf des 2. Weltkrieges mussten hier viele Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter vor allem aus Osteuropa unter unvorstellbaren und menschenunwürdigen Bedingungen leben und arbeiten. Neben den Folgen vieler kleinerer und größerer Explosionen war vor allem der Umgang mit Giftstoffen bei der Abfüllung der Bomben problematisch. Die Frauen, die hier arbeiten mussten, waren an Haut- und Haarverfärbungen zu erkennen - sichtbare Folge der Vergiftungen, die zur Zerstörung der roten Blutkörperchen und damit zum Tode führten.
Nach Kriegsende demontierten die Alliierten Einrichtung und Maschinen; Gebäude, die ihnen unverzichtbar zur Herstellung von Sprengstoff erschienen, wurden gesprengt. So sind die meisten Gebäude auf dem öffentlich nicht zugänglichen Gelände heute nur noch Ruinen, von denen z. T. erhebliche Gefahren ausgehen.
Am Tag des Offenen Denkmals im September 2005 organisierte das Oberharzer Bergwerksmuseum Führungen auf dem ehemaligen Werksgelände. Trotz schlechten Wetters nutzten mehr als 1.000 Menschen diese einmalige Gelegenheit, das inzwischen stark verwilderte Grundstück mit seinen Ruinen zu besichtigen. (hz/HA)
Spuren in der Stadt
Zwischen dem Werksgelände und dem Stadtzentrum ist mit den Siedlungen für die Angehörigen des Werkspersonals und den Lagern für die in- und ausländischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ein neuer Stadtteil entstanden - die Tannenhöhe. Trotz vieler Umbauten ist die Ähnlichkeit der Doppelhäuser in den beiden Siedlungen für Meister (rund um den Ludwig-Jahn-Sportplatz) und für Angestellte (an der Hausherzberger-Straße) noch gut erkennbar. Dasselbe gilt für die sog. Doktorenhäuser an der Tannenhöhe, wo das Führungspersonal des Werks Tanne wohnte.
Kaum Spuren hinterlassen haben dagegen die Lager für die deutsche Dienstverpflichteten und die osteuropäischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Sie lagen zwischen diesen Siedlungen ebenfalls direkt an dem Verbindungsweg (heute Breslauer Straße). Auf dem Gelände des ehemaligen Bereitschaftslagers entstand in den 1950er Jahren ein Standort des Bundesgrenzschutzes, später der Bundeswehr. Er wurde 1993 aufgegeben. Seitdem wird das Gelände von der TU Clausthal und vielen Firmen genutzt. Die Baracken des sog. Lagers Holz III lagen am heutigen Mönchstalweg. Sie wurden abgerissen, das Gelände in Grundstücke für Einfamilienhäuser aufgeteilt.
Sowjetische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus dem Werk Tanne wurden auf dem sog. Russenfriedhof begraben. Er liegt am Unteren Pfauenteich (in der Nähe des ehemaligen Lagers „Pfauenteiche“); ein Schild mit dem Hinweis „Kriegsgräberstätte“ an der Bundesstraße 242 führt Interessierte dort hin.
Auch auf dem Clausthaler Friedhof gibt es Gräberfelder mit Toten aus dem Werk Tanne. Auf der linken Seite vor der Friedhofskapelle sind die Opfer eines Explosionsunglücks aus dem Juni 1940 begraben. Der Gedenkstein mit den Namen der Toten verrät, dass sie als Dienstverpflichtete aus dem ganzen damaligen Deutsche Reich stammten.
An der Rückseite dieses Gedenksteins ist ein Gräberfeld mit vielen osteuropäischen Namen zu finden, darunter auch einige kleine Kinder. Ihre Überlebenschancen waren während des 2. Weltkrieges äußerst gering. Einige von ihnen sind in den ersten Nachkriegsjahren noch hier gestorben; denn ihre Mütter kehrten nicht in ihre Heimat zurück. Sie mussten befürchten, in der stalinistischen Sowjetunion der Kollaboration beschuldigt und verfolgt zu werden. Als Displaced Persons lebten sie in den Nachkriegsjahren im ehemaligen Bereitschaftslager. (hz/HA)
Literatur:
Braedt, Michael, H. Hörseljau, F. Jacobs, F. Knolle: Die Sprengstofffabrik „Tanne“ in Clausthal-Zellerfeld. Papierflieger Clausthal-Zellerfeld, ISBN 3-89720-124-0
Pietsch, Jani: Sprengstoff im Harz. Edition Hentrich 1998, ISBN 3-89468-242-6